Auswirkungen des Usher-Syndroms aus dem Blickwinkel der Eltern

Die Diagnose des Usher-Syndroms stellt neben der betroffenen Person selbst auch deren Angehörige vor vielfältige Probleme. Sie müssen gleich zweimal einen Bewältigungsprozess durchlaufen, der oftmals mit psychischen und sozialen Belastungen einhergeht. Nachdem im Kindesalter zunächst eine Hörschädigung festgestellt wird, investieren Eltern viel Zeit und Mühe in die Sprachentwicklung des eigenen Kindes, dem Suchen und Finden nach Möglichkeiten der Frühförderung sowie mit der Versorgung des Kindes mit eigenen Hörgeräten oder eines Cochlea Implantates. Der dann zu einem späteren Zeitpunkt festgestellte Befund einer fortschreitenden Sehbeeinträchtigung bedeutet für die Eltern einen erneuten Schock. 

Wie gingen betroffene Eltern mit der Diagnose um, welchen Situationen fühlten sie sich ausgesetzt und was hat sie darin bekräftigt, mit der Diagnose des Usher-Syndroms umzugehen und gestärkt aus der Lebenssituation zu gehen? Diese Fragen habe ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit versucht, mithilfe von vier Interviews mit betroffenen Elternteilen zu beantworten.

Bereits die anfängliche Diagnose des Usher-Syndroms gestaltet sich äußerst schwierig für die betroffenen Eltern. Ein Großteil der befragten Personen kritisierte den Umstand, dass sie von den Ärzten nicht ausreichend über das Usher-Syndrom informiert wurden, da diese oftmals selbst nicht hinlänglich über das Krankheitsbild informiert gewesen sind. Sie fühlten sich von den Ärzten alleine gelassen und konnten nur schwierig mit der Situation umgehen, keinen Anlaufpunkt zu haben bzw. kaum über etwaige Stellen informiert worden zu sein. Zudem kritisierten viele das mangelnde Einfühlvermögen seitens der Ärzte. Lediglich ein Elternteil fühlte sich ausreichend und verständnisvoll vom Arzt über die Krankheit aufgeklärt. Viele der befragten Eltern mussten sich selbstständig auf die Suche begeben, um etwas über das Usher-Syndrom in Erfahrung zu bringen. Mangels ausreichender Fachliteratur wurde vor allem auf Artikel aus dem Internet zurückgegriffen. Durch ausgiebige Recherchen wurden Kontakte zu weiteren Anlaufstellen (Ärzte, Professoren, Institute, Projekte, Selbsthilfegruppen) hergestellt, um sich einerseits weiter zu informieren, andererseits aber auch mit anderen Betroffenen auszutauschen. Eine befragte Person gründete sogar eine eigene Selbsthilfegruppe, um Kontakt zu anderen Eltern herstellen zu können. Der Austausch mit anderen Betroffenen wurde von allen Befragten als sehr wichtig und hilfreich erachtet. Er konnte nicht nur dabei behilflich sein, das Krankheitsbild genauer zu verstehen, sondern auch eigene Ängste zu überwinden.

Nach der Diagnosestellung werden die betroffenen Eltern vor beträchtliche und vielfältige psychische Probleme gestellt. Eine befragte Person belastete die neue Lebenssituation in derartiger Weise, dass sie alleine nicht mehr in der Lage dazu gewesen ist, dem eigenen Kind den Sachverhalt zu vermitteln. Eine andere Person berichtete, dass sie als Eltern ihre Kinder nicht sofort über die Krankheit informierten, sondern die Informationen in bestimmte Ziele mit eingebunden haben. Diese Ziele waren jedoch mit verschiedenen Rückschlägen verbunden. Viele der befragten Eltern wurden durch die Diagnose in einen Schockzustand versetzt, der mit Alpträumen, Schlaflosigkeit und depressiven Verstimmungen einherging. Selbstzweifel und Zukunftsängste bestimmten den Alltag und gingen einher mit einer gefühlten Handlungs- und Machtlosigkeit. Zudem sahen sie sich der Frage ausgesetzt, inwiefern die Krankheit Einfluss auf die eigene Familienbiographie nehmen wird und welche Möglichkeiten dem eigenen Kind bleiben, den Alltag zu bewältigen. Diesbezüglich machten sich die Eltern häufig den Vorwurf, nicht ausreichend für ihr Kind unternommen zu haben. 

Im Rahmen der Befragungen stellte sich weiterhin heraus, dass die Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild und der damit einhergehenden neuen Lebenssituation sehr zeitintensiv gewesen ist. Dieser Umstand wurde von den Eltern aber wenig bedauert. Zwar hätten bei einer Familie beispielsweise die gemeinsamen Anreisen zu ausgewählten Fachkliniken viel Zeit in Anspruch genommen, allerdings verbrachte diese hierdurch weitaus mehr Zeit miteinander als gewöhnlich, so dass diese durch das Erlebte weiter zusammenrückte. Durch gemeinsam durchlaufende Bewältigungsprozesse kann die Familie also durchaus an Bedeutung gewinnen. Für eine weitere befragte Person wurde die Auseinandersetzung mit dem Usher-Syndrom zu einem selbst auferlegten Vollzeitjob. Sie sah die Diagnosestellung von vorn herein nicht als Leid sondern als eine Herausforderung an, mehr über die Krankheit zu erfahren und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Die Person gab ihre Tätigkeit als Anwalt auf, um sich an verschiedenen Orten und in verschiedenen Projekten ausschließlich der Forschung zu widmen. Der Glaube an sich selbst und daran, eigene Ressourcen nutzen zu können, hat der Person letztlich dabei geholfen, mit der Diagnose besser umzugehen. Nicht alle Eltern können und wollen die Krankheit jedoch als solche bei ihrem Kind akzeptieren. Einigen hilft der Glaube an Gott dabei, besser mit der Krankheit umzugehen. 

Auch wenn die Ergebnisse der Bachelorarbeit keinesfalls repräsentativ für die Gesamtheit aller betroffenen Eltern stehen, lassen die Erkenntnisse aus der Arbeit durchaus Schlussfolgerungen für die Praxis zu. Die Aussagen über die Diagnosestellung zeigen auf, dass viele Eltern von den Ärzten nicht ausreichend über das Usher-Syndrom und mögliche Anlaufstellen für Betroffene informiert wurden, da die Ärzte im Rahmen ihrer Ausbildung teilweise selbst nicht ausreichend über die Krankheit aufgeklärt wurden. Um ausreichend Hilfe für die Eltern gewährleisten zu können, müssen Fachärzte zukünftig besser über das Usher-Syndrom ausgebildet werden, beispielsweise im Rahmen von Fortbildungen. Im Anschluss an die Diagnose sollte umgehend ein Diagnosegespräch erfolgen, bei dem die betroffenen Eltern sachlich, einfühlsam und vor allem umfassend über das Usher-Syndrom informiert werden. Der individuelle Hilfsbedarf muss geklärt und auf Anlaufstellen (Ärzte, Psychologen, Professoren, Spezialkliniken, Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen) hingewiesen werden. Hierdurch können Ängste und Hemmschwellen in Bezug auf die Krankheit überwunden und die Eltern in ihrem eigenen Handeln ermächtigt werden, so dass diese letztlich selbstbewusster mit der Diagnose umgehen können. 

 

Jan Krieger hat von 2008 bis 2013 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg studiert. Im Jahr 2011 schrieb er die Bachelorarbeit „Das Usher-Syndrom. Auswirkungen aus dem Blickwinkel der Eltern“, welche mit 1,3 benotet wurde. Seine kürzlich abgeschlossene Masterarbeit trägt den Titel „Individuelle Selbstsorge und Entwicklungsaufgabenbewältigung Adoleszenter im Sozialen Netzwerk „Facebook“ beim Gestaltungsprozess persönlicher Identität“. Seit Oktober 2013 ist Jan Krieger als Sozialpädagoge in der Aktivierungshilfe (U25) Oldenburg bei Arbeit und Bildung e.V. tätig. 

Kontakt: BigBoeller@web.de

 

von Jan Krieger

 

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