Erstes Internationales Usher-Patientensymposium 2008 in Berlin

Dr. Hans-Jürgen Krug

Am 8. November 2008 fand im Senatssaal der Berliner Humboldt-Universität das erste internationale Usher-Patientensymposium mit über 140 Teilnehmern nicht nur aus Berlin/Brandenburg, sondern auch aus NRW, Hamburg, Niedersachsen, den neuen Bundesländern, Bayern und Österreich statt. Zur Eröffnung war der Fokus auf die im Januar 2008 unter Leitung von Prof. Dr. Klaus Rüther (Charité-Augenklinik Campus Virchow-Klinikum) und Herrn Prof. Dr. Manfred Gross (Charité-Klinik für Audiologie und Phoniatrie) angelaufene Berliner Usher-Spezialsprechstunde gerichtet. An der Charité-Augenklinik hatte - wie unser Vorsitzender Dr. Klaus Gehrig einleitend feststellte - schon Albrecht von Graefe gewirkt und 1858 die ersten Befunde zum späteren Usher-Syndrom erhoben (vgl. RA Nr. 82, 4 / 2001, S. 20-21). Diese Sprechstunde war gefördert worden durch die Interaktion der Klinik für Audiologie und Phoniatrie mit der Augenklinik, die heute beide in einem gemeinsamen Charité-Zentrum verbunden sind. Diese Sprechstunde kann sich inzwischen auf ein wachsendes Netzwerk von spezifischen Beratungsstellen in der Hauptstadt abstützen.

Patientensprechstunden

Prof. Gross und Prof. Rüther stellten die aktuellen Möglichkeiten und Perspektiven der Sprechstunde sowie den medizinisch-wissenschaftlichen Hintergrund ihrer Kliniken mit Blick auf syndromale Erkrankungen vor. Patienten mit einer Hör- und Sehbehinderung haben endlich die Möglichkeit von einem interdisziplinär vereinheitlichten Gesichtspunkt diagnostiziert und versorgt zu werden.

Anliegen des Symposiums war es, Mediziner, Forscher, Studenten der Sonderpädagogik und Sozialarbeiter aus ganz Europa zum Thema Usher-Syndrom zusammenzubringen und damit auch das statistisch durchaus seltene Syndrom von einer langjährigen Randposition nunmehr in das Zentrum des Interesses zu stellen. Usher-Aktivistin Mary Guest

Mary Guest von der Londoner SENSE kann wohl als die dienstälteste europäische Usher-Aktivistin gelten: sie resümierte ihre jahrzehntelange Arbeit von den ersten Kampagnen zur Wahrnehmung der doppelten Sinnesbehinderung bis zu größeren Usher-Studien und zur Einrichtung der ersten Spezialsprechstunde in London im Sommer 2007.

Neue Erkenntnisse in der Forschung

Bereits seit einer Reihe von Jahren haben sich Genetiker und Zellbiologen intensiv um das klinische Phänomen Usher-Syndrom bemüht. In den (hier alphabetisch folgenden) Vorträgen von PD Dr. Hanno Bolz (Univ. Köln), Dr. Hanni Kremer (Univ. Nijmegen), Prof. Dr. Christine Petit (Institut Pasteur, Paris) uund Prof. Dr. Uwe Wolfrum (Univ. Mainz) wurde deutlich, dass heute der Zusammenhang zwischen dem genetischen Defekt und den Störungen des Proteinstoffwechsels in den Photorezeptoren und den Haarzellen des Innenohres recht gut verstanden wird. Oft genügt schon eine kleine Störung der Harmonie des Baustoffwechsels, um im Laufe der Jahre gravierende Zellschäden zu akkumulieren, die am Ende zum programmierten Zelltod führen. Deutlich wurde auch, dass das Usher-Syndrom im Spektrum der verschiedensten Krankheitsbilder nicht am äußersten Rande steht, sondern sich gerade an der Schnittstelle zwischen den isolierten Hörstörungen und den reinen Netzhautdegenerationen befindet.

Cochlear- und Retina-Implant

Das Cochlear-Implant zur technischen Substitution des ausgefallenen Innenohres wird, wie Dr. Heidi Olze vom Virchow-Klinikum Berlin darlegte, nach Jahrzehnten der Praxiserprobung und Weiterentwickluung inzwichen fast als Routineversorgungg eingesetzt. Dies ist beigehörlosen Kindern (hier Usher-Typ I) angezeigt, um das Möglichkeitsfeld einer entwickelbaren Hörbahn nicht zu verstellen. Bei elektronischen Netzhautprothesen, dem Retina Implant, gibt es, wie Herr Steffen Suchert (Faun-Stiftung und Intelligent Medical Implants GmbH (IMI)) ausführte, nach über zehn Jahren Grundlagenvorlaufszeit bereits verschiedene Industriefirmen, die bei Patienten Implantate einsetzen. Man darf zuversichtlich sein, dass in absehbarer Zeit durch das Retina Implant ein Restsehvermögen von gerade erblindeten RPlern realisiert weerden kann.

Wohnprojekte, Ausbildung, Rehabilitation und Integration

Den Abschluss des von Prof. Rüther mit Standfestigkeit moderierten mehrsprachigen Symposiums bildeten die Vorträge von Pfarrrerin Ruth Zacharias (Radeberg b. Dresden) und Herrn Karlheinz Jakobs (Taubblindenwerk Hannover) über Wohnprojekte für Taubblinde sowie ihre berufliche Ausbildung, Rehabilitation und Integration. Hier, wie auch beim Schlusswort von Mary guest wurde deutlich, dass es sich beim Usher-Syndrom nicht um eine Addition einer Hör- und Sehbehinderung, sondern von Klinik bis Rehabilitation um eine qualitativ eigenständige Behinderung handelt! Dies soll ein Impuls sein, den es im 21. Jahrhundert auszubauen gilt. Auch können vom Usher-Syndrom Anregungen ausgehen, die für die angrenzenden isolierten Behinderungen ebenfalls fruchtbar sind.

Abschließend sei hier der von Prof. Gross coram publico an Barbara Hein ausgesprochene Dank bekräftigt, die sich in der Usher-Gruppe in der RG Berlin / Brandenburg über zehn Jahre für die Belange der Betroffenen und für die Einrichtung der Sprechstunde eingesetzt und zuletzt die Organisation des Symposiums übernommen hatte: der geforderte Aufwand allein für den reibungslosen Einsatz der barrierefreien Konferenztechnik, der Simultan- und Gebärdensprachdolmetscher ist nur zu ahnen. Gedankt sei auch dem gastgebenden Institut für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt-Universität, den zahlreich eingeworbenen Sponsoren und den unermüdlichen Helfern aus der Berliner RG. Ein riesiger Blumenstrauß, der bereits die Herzen bei der Feier zur Ehrenpromotion von Wolf Biermann an der HU erfreute, wurde uns für unser Symposium zur Verfügung gestellt.

Zurück zum Seitenanfang