Berichte 2016

Aktuelle Berichte aus dem Jahr 2016

Auszüge aus dem Usher-Magazin (Vereinsmagazin für Mitglieder)

 


Berichte aus dem Jahr 2015

Warnweste für Taubblinde

zusammengefasst von Dr. Nadja Högner

Bei IRIS in Hamburg kann ab sofort eine Warnweste für taubblinde Menschen bezogen werden. Sie dient vor allem der frühen Erkennung und Sicherheit im Straßenverkehr, wo der Langstock mitunter nicht ausreichend wahrgenommen wird. Warnweste für Taubblinde
Die Weste besteht aus einem leuchtenden Gelb mit reflektierenden Streifen in silbergrau auf der Front- sowie einem durchgestrichenen Ohr und einer Person mit Langstock auf der Rückseite; beide Symbole ebenfalls in reflektierendem silbergrau. Die Warnweste gibt es nur in einer Größe. Sie hat variable Klettverschlüsse, so dass sie jeder Körpergröße und jedem Bekleidungsumfang angepasst werden kann.
Super! Gern!
Die Warnweste kostet 10 Euro, zuzüglich 3 Euro Porto und 0,91 Euro (7 % Mehrwertsteuer), also insgesamt 13,91 Euro. Die Bestellung erfolgt per E-Mail an info@iris-hamburg.org.


Die empfundene Überbehütung und ihre negativen Folgen

zusammengefasst von Dr. Hans-Jürgen Krug

In unserem Leben als doppelt Sinnesbehinderte befinden wir uns oft im Spannungsfeld zweier gegensätzlicher Pole: der fehlenden oder ausbleibenden Hilfe und Unterstützung auf der einen und einer lähmenden Überbehütung auf der anderen Seite. Es ist nicht leicht, eine strukturell angepasste Assistenz und damit einen guten Mittelweg zu finden, der die noch vorhandenen Potenziale zur Geltung und Entwicklung kommen lässt und dabei die angebotenen Ressourcen nur maßvoll in Anspruch nimmt. Das Problem der empfundenen Überbehütung ist 2006 in einer amerikanischen Studie bei einem Ensemble von älteren Menschen mit reiner und rein altersbedingter Sehbehinderung untersucht worden. Die Ergebnisse dieser exemplarischen Befragung sind in ihrer Übertragbarkeit auch für uns aufschlussreich – und mahnend zugleich.

Datenerhebung

In der New Yorker Studie wurden 584 ältere Menschen (über 65 Jahre) beiderlei Geschlechts befragt. Alle hatten auf Grund ihrer altersbedingten Augenerkrankung bereits einmal die Hilfe von Sehbehindertenberatungsstellen in Anspruch genommen und waren auf diese Weise in den Fokus der Studie gelangt. Die Augenerkrankung sollte dabei erst im Verlaufe der letzten fünf Jahre eingetreten sein. Die Teilnehmer waren geistig gesund, für die Befragung gut hörend, normal sozial integriert und hatten in ihrem früheren Leben noch keine ernsthaften Augenprobleme. Insgesamt wurden 1052 geeignete Studienteilnehmer angesprochen; 55,5 % von ihnen (N=584) nahmen schließlich an der schriftlichen und mündlichen Befragung teil. Im Vergleich zu den 468 Studienverweigerern waren die 584 Teilnehmer im Durchschnitt etwas jünger und waren auch zu einem größeren Teil verheiratet. 50,3 % von ihnen waren Frauen. Das Durchschnittsalter aller lag bei 80,4 Jahren ‒ mit einer Spannweite von 65 bis 100 Jahren. In den USA ist es üblich, die ethnische Verteilung des Ensembles anzugeben: 83,7 % waren weißrassig (kaukasisch), 12,2 % waren Afroamerikaner, 3,6 % waren Iberoamerikaner und 0,5 % kamen aus anderen Regionen.

Studienhypothesen

Im Einklang mit früheren Arbeiten zum Problem der wahrgenommenen Überbehütung wurden folgende drei Arbeitshypothesen aufgestellt:

  1. Eine empfundene Überbehütung wirkt sich negativ auf die psychosoziale Bewältigung der Sehbehinderung aus. Dies betrifft sowohl die Beherrschung der Umwelt im Ganzen als auch die Lösung konkreter Sehprobleme im Einzelnen.
  2. Ein hohes Maß an funktioneller Behinderung und der damit verbundenen Abhängigkeit von zweckdienlicher Unterstützung führen zu einem Gefühl der Überbehütung.
  3. Das Gefühl der übermäßigen Behütung mindert den Effekt der zweckdienlichen Hilfsleistungen, wodurch sich ein Teufelskreis schließt.
  4. Mit dem Gefühl der Überbehütung wird der Effekt von professioneller Hilfe auf die Beherrschung der Umwelt und der Lösung von alltäglichen Sehproblemen wieder aufgehoben.

Fakt ist, dass mit zunehmender Sehbehinderung die Inanspruchnahme von Hilfsmitteln und Assistenz notwendig ansteigt, aber auch Probleme auftauchen damit umzugehen.

Statistische Ergebnisse

Erstaunlicherweise hatten einzelne demografische Variablen wie Alter, Geschlecht, sozialer Status keine Auswirkung auf die Empfindung der Überbehütung.
In den ausführlichen Ergebnistabellen der Arbeit wurde eine Bestätigung der drei genannten Hypothesen ausgewiesen. Damit konnten auch ältere Studien zu empfundener Überbehütung und dadurch verminderter Rehabilitation bei Schlaganfallpatienten, Krebspatienten oder hochaltrigen Menschen bestätigt werden. Dieser negative Zusammenhang ist auch ein Auslöser für depressive Symptome.
Eine Überbehütung wird auch bei der Unterstützung durch Angehörige, Freunde oder Nachbarn empfunden. Diese erlebte Gängelung resultiert vor allem aus der Angst der Betreuer, dass sich die älteren sehbehinderten bei überall denkbaren Unfällen etwas tun könnten.
Die zunehmende funktionelle Einschränkung durch den Sehverlust ist naturgemäß auch mit einem massiven Kontrollverlust der Patienten verbunden.
Grenzen der aktuellen Studie liegen unter anderem in der reinen Momentaufnahme des heutigen Zustandes. Die Verfassung und die Einstellung der Patienten wurden nicht über einen längeren Zeitraum verfolgt, auch wurde die Perspektive der professionellen Helfer nicht mit einbezogen. Der negative Effekt der Überbehütung muss den Assistenten aber bewusst sein bzw. bewusst gemacht werden. Es wird vermutet, dass das untersuchte Gefühl der Überbehütung nur eine temporäre Erscheinung ist, eine erste Trotzreaktion, die sich im Laufe eines längeren Rehabilitationsprozesses abschleift, in dem Maße, wie die Patienten selbständiger und mit zunehmenden Erfolgserlebnissen auch selbstbewusster werden.

Schlussfolgerungen

Bei jedem Interagieren von Patienten mit professionellen Helfern treffen oftmals völlig unterschiedliche Wahrnehmungswelten aufeinander. Jeder Mensch baut sich seine Welt als individuelles Konstrukt auf – und hält diese geistige Vorstellung für die einzig richtige. Dies führt notwendig zu Konflikten. Professionelle Helfer, die sich um behinderte Menschen kümmern, sind zumeist nicht selbst sensorisch eingeschränkt und mögen ihr Welterleben schon durch ihre Mehrheitsposition für das einzig gültige halten, in das die Behinderten nur noch eingepasst werden müssen. Der Dialog über die Grenzen der Umweltkonstrukte beider Assistenzparteien ist deshalb dringend vonnöten. Die Sicht des Patienten muss dabei bestimmend bleiben, denn um ihn geht es.

Quelle: Cimarolli, Verena R. et al. (2006). Perceived Overprotection – Support gone bad? Journal of Gerontology: Social Sciences, 61 B (1), 18-23.


Datum: 
Samstag, Januar 31, 2015 - 17:00

Zurück zum Seitenanfang