Leben ohne Licht und Schall

Taubblinde kämpfen um ein eigenes "Merkzeichen"
Von Joachim Heinz (KNA)

Berlin (KNA) Peter Hepp hat an der Längsseite des Tisches Platz genommen. Was an diesem Donnerstag auf der Pressekonferenz des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin-Mitte verhandelt wird, kann er nicht hören. Genauso wenig wie das Martinshorn des Notarztwagens, der draußen vor den Hackeschen Höfen vorbeirauscht. Sehen kann er den Wagen auch nicht. Und auch nicht, wer drinnen im Raum vor ihm sitzt. Trotzdem folgt der 50-Jährige der Veranstaltung mit gespannter Aufmerksamkeit. Zwei Helferinnen "schreiben" ihm die einzelnen Statements in die Hand. Es geht um ihn und rund 6.000 weitere Menschen in Deutschland, die taubblind sind; die weder hören noch sehen können.

Kurz zuvor war Hepp bei der Übergabe einer Unterschriftenliste im Bundessozialministerium dabei. Binnen eines halben Jahres haben rund 14.000 Menschen das Anliegen mehrerer Behindertenverbände unterzeichnet, den Eintrag eines eigenen "Merkzeichens" für Taubblinde im Sozialgesetzbuch zu erreichen. Was nach einer simplen Formalie klingt, hat für die Betroffenen weitreichende Konsequenzen, wie Irmgard Reichenstein von der "Stiftung taubblind leben" erläutert. Bislang betrachte der Gesetzgeber Taubblindheit als "Addition von taub und blind", sagt Reichenstein, die selbst einen taubblinden Bruder hat.

Menschen wie Peter Hepp kommen so beispielsweise schnell an eine optische Klingel, die einem Gehörlosen per Licht signalisiert, dass Besuch vor der Türe steht. Aber für den eigentlich nötigen Vibrationsalarm müssen Taubblinde oftmals einen langen Weg durch die Ämter gehen. Für die ohnehin gehandicapten Betroffenen seien solche Behördengänge oftmals eine Erniedrigung, sagt Reichenstein. Sie hofft nun, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein achtes Zeichen für Taubblindheit in dem DIN A 6-großen Ausweisen stehen kann, mit denen Schwerbehinderte ihre Ansprüche geltend machen können. Das Gespräch im Ministerium beschreibt sie als "eindrucksvoll". Konkrete Zusagen gab es jedoch nicht.

Nachholbedarf herrscht auch bei der Betreuung von Taubblinden. So zynisch es klingt: Wer von Klein auf taubblind ist, der hat es noch am besten. Inzwischen gibt es Pädagogen, die den Kindern beibringen, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Über zu ertastende Gegenstände, deren Bedeutung die Mädchen und Jungen über die klassische Blindenschrift kennenlernen. Ein mühsamer Prozess, aber lohnend, wie Irmgard Reichenstein betont. Sogar ein Studium ließe sich auf diesem Wege realisieren. Sorge bereitet ihr und anderen die Situation von Menschen, die erst als Erwachsene beide Sinne verlieren. Beim tückischen Usher-Syndrom ist das der Fall. Die genetisch bedingte Hörschädigung führt im schlimmsten Fall zu einem Verlust der Sehfähigkeit.

Eine extreme Belastung nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für deren Familien. Viele leben noch in hohem Alter bei ihren Eltern. Wenn Vater und Mutter sterben, bricht auch der letzte Kontakt zur Außenwelt ab - ihre taubblinden Kinder landen mitunter sogar in der Psychiatrie. Weil viel zu wenig über ihre besonderen Einschränkungen bekannt ist. Und weil sie sich selbst nicht mitteilen könnten. Speziell ausgebildete Assistenten könnten da Abhilfe schaffen. Aber davon gibt es bundesweit gerade einmal 50, die zudem meist ehrenamtlich arbeiten, da es sich nicht um einen anerkannten Beruf handelt.

Peter Hepp hat Glück gehabt. Yara Toama, eine Politologie-Studentin aus Tübingen, begleitet ihn als Dolmetscherin. Während der Pressekonferenz wird sie von Stephanie Hanke unterstützt, die an der Berliner Humboldt-Universität ihren Bachelor in "Deaf Studies - Sprache und Kultur der Gehörlosengemeinschaft" macht. Natürlich sagt Hepp, habe er mit seinem Schicksal gehadert, als er, anfangs taub, mit 29 Jahren auch noch erblindete. "Aber heute respektiere ich meine Krankheit wie meine Haarfarbe". Als katholischer Diakon ist der zweifache Familienvater im Bistum Rottenburg-Stuttgart in der Behindertenseelsorge aktiv. Über sein Leben hat er vor einigen Jahren ein Buch geschrieben: "Die Welt in meinen Händen".

Katholische Nachrichtenagentur: www.kna.de
 

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