Wie häufig ist das Usher-Syndrom wirklich?

zusammengefasst von Dr. Hans-Jürgen Krug

Seit inzwischen drei Jahrzehnten gibt es aus den USA, Skandinavien, Großbritannien und auch Deutschland Statistiken zur Häufigkeit des Usher-Syndroms. Es wurden dabei Werte zwischen 3,3 und 6,2 Betroffenen auf 100.000 Personen ermittelt. In Deutschland wurde 2002 für ein Gebiet mit hohem Erfassungsgrad (Uni-Klinik Heidelberg) eine Häufigkeit von 6,2 auf 100.000 angegeben. Eine neuere Erhebung aus Schweden (2013) ergab 3,3 Betroffene auf 100.000 Personen. Das Usher-Syndrom macht etwa 50 % aller Fälle von Taubblindheit in jungen bis mittleren Jahren aus. Im höheren Alter kann die Zahl aber rein altersbedingt noch einmal sprunghaft ansteigen.

Bei den bislang vorliegenden statistischen Angaben müssen stets einige Einschränkungen bedacht werden: Die Studien basieren bei der Seltenheit des Usher-Syndroms naturgemäß auf sehr geringen Zahlen von klinisch erfassten Patienten (Uni-Kliniken, Beratungsstellen, Selbsthilfeverbände). Die Resultate hängen deshalb stark vom lokalen Erfassungsgrad ab.

Erfasst werden im Regelfall nur Betroffene mit deutlich ausgeprägter RP. Da die RP meist erst in der zweiten oder dritten Lebensdekade entdeckt wird, fehlen jüngere Betroffene in der Statistik. Umgekehrt gilt dies auch für ältere Hörbehinderte, die erst sehr spät eine RP entwickeln, die dann aber als Alterskrankheit abgetan wird.

Das Usher-Syndrom besitzt zudem eine große Bandbreite des Erscheinungsbildes. Es kann je nach Mutation oder infolge genetischer Modifikatoren gegen das bekannte klinische Raster auch eine reine RP oder – im anderen Extrem – eine reine Gehörlosigkeit bzw. Innenohrschwerhörigkeit ausprägen.

William J. Kimberling hat deshalb 2010 in den USA erstmals ein genetisches Screening bei jungen Hörbehinderten durchgeführt. Daraus ermittelte er einen hochgerechneten Wert von 1/6.000 (= 16,7/100.000).

Die Probanden und die Methode

Grundlage für die Kimberling-Studie waren 78 Patienten im Alter zwischen 14 und 20 Jahren aus 19 Oberschulen für Schwerhörige und Gehörlose in Oregon und ein Kollektiv von 115 Kindern mit CI (Implant-Programm der Universität Utah). Insgesamt gingen für 133 Probanden ausgefüllte Fragebögen und verwertbare Blutproben ein. Bei dem CI-Kollektiv (115 insgesamt) waren 41 bereits zuvor positiv auf das Taubheitsgen GJB2 getestet worden. Von den 74 verbleibenden CI-Patienten schickten 55 ihre Blutproben zur Usher-Analyse ein.

Bei den jungen Patienten ist es wahrscheinlich, dass die Gehörlosigkeit bzw. Schwerhörigkeit auf einer Erbkrankheit beruht.

Zur DNA-Analyse wurde der bekannte Genchip der Firma Asper verwendet. Der Asper-Chip war für acht bekannte Usher-Gene sowie für das am häufigsten vorkommende Taubheitsgen GJB2 (Gap Junction Beta 2 oder Connexin 16) präpariert. Die Ansprechhäufigkeit des Asper-Chips lag bei nur etwa 50 %, was aber bei der Häufigkeitsberechnung berücksichtigt wurde. In allen positiven Usher-Befunden fand zur Sicherheit eine konventionelle Nachsequenzierung statt.

Ergebnisse

Von den 133 (78 + 55) analysierten Personen hatten 15 ein defektes Usher-Gen (11,3 %). Bei den Schülern aus Oregon hatten 6 ein defektes Taubheitsgen. Von den 72 verbleibenden fanden sich 8 mit Usher-Mutationen (11,1 %). Bei den bereits vorsortierten 55 CI-Trägern ergaben sich 7 Usher-Fälle (12,7 %). Letzteres Resultat wird durch zwei ältere Statistiken bei Kindern mit CI gestützt, unter denen 7,0 bzw. 10,4 % RPler entdeckt wurden.

Zur Ermittlung der Usher-Häufigkeit kann man in den USA von einem Anteil von 0,1 % junger Gehörloser bzw. Schwerhöriger ausgehen.

Nach Berücksichtigung der Fehlerrate des Asper-Chips und der nicht betroffenen Usher-Genträger kommt Kimberling auf einen Anteil von 1/6.000 Usher-Betroffenen an der US-Gesamtbevölkerung – drei- bis fünfmal mehr als bislang angegeben.

Diskussion

Kimberling weist darauf hin, dass später einmal mit moderneren Methoden (Next Generation Sequencing) ein genetisches Screening effektiver und vor allem mit höherer Treffergenauigkeit möglich sein würde. Sein Ziel ist es, das Usher-Screening als Erweiterung des Hörbehindertenscreenings bei Neugeborenen mit einzubauen. Durch die inzwischen erzielten methodischen Fortschritte wäre man 2013 diesem Ziel deutlich näher gekommen.

Wichtig wäre eine Usher-Diagnose so früh wie möglich, um etwa gehörlos Geborene rechtzeitig für ein CI zu motivieren, die Berufswahl und Lebensplanung richtig zu steuern oder bestimmte Gesundheitsrisiken bei der RP (etwa UV-Licht) auszuschließen.

 

Quelle: Kimberling, William et al. (2010). Frequency of Usher Syndrome in two pediatric populations: Implication for genetic screening of deaf and hard of hearing children, Genetics in Medicine, 12(8), 512 – 516.

Online unter: http://www.nature.com/gim/journal/v12/n8/full/gim201082a.html

 

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