Stand der Forschung 2002

Prof. Dr. Andreas Gal (Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum HH-Eppendorf)

Die klinische Diagnose Usher-Syndrom (USH) umfasst eine Gruppe klinisch und genetisch heterogener Erkrankungen, die im Wesentlichen mit angeborener oder früh einsetzender Innenohrschwerhörigkeit sowie einer Netzhaut-Degeneration (RP) einhergehen. In den Industrieländern stellt das Usher-Syndrom eine häufige Ursache von Taubblindheit dar und ist hier vermutlich für ca. 50% der Fälle verantwortlich.

Nach den Symptomen unterscheidet man drei klinische Subtypen:

  • Das Usher-Syndrom Typ 1 (USH1; 33-44% aller USH-Fälle) stellt den klinisch schwerwiegendsten Subtyp dar, der durch angeborene Taubheit, gestörte Gleichgewichtswahrnehmung und frühzeitig einsetzende RP gekennzeichnet ist
  • Bei USH2 (56-67% der Fälle) fehlt die Gleichgewichtsstörung, und der Zeitpunkt der Manifestation der RP ist variabel
  • Die mildeste und vermutlich insgesamt seltenste Form stellt USH3 dar. Die Gene USH1B (Myosin 7A; 30-60% aller USH1-Fälle), USH1C (Harmonin; 12%), USH1D (Cadherin-23; 10%), USH1F (Protocadherin-15), USH2A (Usherin) und USH3 wurden bereits identifiziert

Die Entwicklung einer molekulargenetischen Diagnostik für die frühe Untersuchung schwerhöriger Kinder zum Ausschluss eines Usher-Syndroms, die momentan routinemäßig (noch) nicht möglich ist, wäre für die Behandlung der Patienten (z.B. frühe Versorgung mit einem Cochlea-Implantat) von größter Bedeutung – zumal bei ca. 3-6% aller Kinder mit angeborener Schwerhörigkeit ein Usher-Syndrom vorliegt.

Eine Besonderheit bei einigen Subtypen des Usher-Syndroms ist, dass Defekte in bestimmten USH1-Genen auch nicht-syndromale (isolierte) Schwerhörigkeit verursachen können. Umgekehrterweise können bestimmte Mutationen im USH2A-Gen zu isolierter RP führen. Es zeichnet sich mit wachsender Kenntnis von Genotyp-Phänotyp-Korrelation bei den verschiedenen USH-Genen ab, dass die althergebrachte Einteilung in USH1-3 zunehmend kritisch zu betrachten ist.
Nicht-syndromale, autosomal-rezessiv erbliche Schwerhörigkeit und USH sind nicht immer eindeutig zu trennen. Praktisch hat das zur Folge, dass der HNO-Arzt auch bei Erwachsenen mit Verdacht auf isolierte, autosomal-rezessiv erbliche Schwerhörigkeit in regelmäßigen Abständen Untersuchungen des Augenhintergrundes veranlassen sollte, um eine Netzhautbeteiligung frühzeitig erkennen und so die zutreffende Diagnose eines Usher-Syndroms stellen zu können.

Das Usher-Syndrom ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Ärzten für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde für Kinder (Pädaudiologen), Humangenetikern und Augenärzten, sowohl in klinischer als auch in wissenschaftlicher Hinsicht.

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