Genanalyse des Usher-Syndroms

Bericht von Dr. Hans-Jürgen Krug (Stand: 03.2011)

Das zumeist rezessiv vererbte Usher-Syndrom macht etwa 50% aller Fälle von Taubblindheit aus. Bislang wurden dafür neun Gene für die monogene Erkrankung und eine Kombination für eine bigenische Variante identifiziert, wobei man inzwischen davon ausgeht, das damit etwa 80% aller verantwortlichen Gene bekannt sind.

3 Usher-Unterformen

Auf die drei eingeführten klinischen Unterformen des Syndroms verteilen sich die Gene wie folgt:

  • Usher-Typ 1 (Gehörlosigkeit mit progredienter Retinitis Pigmentosa RP): fünf Gene (USH1C, MYO7A, CDH23, PCDH15 und USH1G)
  • Usher-Typ 2 (früh einsetzende, aber nahezu konstante Schwerhörigkeit mit fortschreitender RP): drei Gene (USH2A, GPR98, DFNB31)
  • Usher-Typ 3 (progrediente Schwerhörigkeit und fortschreitende RP): ein Gen (CLRN1)

Dazu kommt noch eine bigenische Vererbung für einen klinischen Usher 2–Befund. Mit dieser relativ geringen Zahl ist die Situation für Forschung und Therapie weit übersichtlicher als bei den reinen Netzhautdegenerationen mit inzwischen gut 120 festgestellten Genen. PD Dr. Hanno Bolz von Humangenetischen Institut in Köln und vom Bioscientia-Zentrum für Humangenetik Ingelheim hat sich als Schüler von Prof. Andreas Gal schon seit einer Reihe von Jahren mit der Genetik des Usher-Syndroms befasst und seine Ergebnisse bereits mehrfach in unserer Vereinigung vorgestellt. Zusammen mit Anne-Francoise Roux aus Montpellier verfasste er unlängst zu diesem Thema eine Übersichtsarbeit im „European Journal of Human Genetics“, sein Vortrag vor der Berliner RG am 16.4.2011 richtete den Fokus auch auf die derzeit aufkommenden schnellen und hochparallelen Sequenziermethoden („Next-Generation-Sequencing“), die an seinem Ingelheimer Institut als Pionierleistung eingeführt und eine durchgehende Genentschlüsselung innnerhalb weniger Tage ermöglichen und dabei für einen Routinebetrieb hinreichend kostengünstig sein werden.

Usher-Datenbank in Frankreich

Derzeit sind im Regelfall die Sequenzierungen noch aufwendig und auch mit einigen Tausend Euro kostspielig. Als Brückentechnologie haben sich auch die von der PRO RETINA geförderten „Genchips“ erwiesen, die eine Vielzahl von bekannten und statistisch relevanten Netzhaut- oder Usher-Genmutationen detektieren und eine genetische Grundeinstufung der Patienten ermöglichen. Auf dieser Basis kann im Anschluss eine Nachsequenzierung zur Bestimmung der konkreten Genmutation oder weiterer Defekte erfolgen. Liegen keine Chipresultate vor oder fällt der Gendefekt aus dem voreingestellten Chip-Raster heraus, erfolgt eine Genanalyse an den Orten der zumeist betroffenen Usher-Gene, jeweils in der Reihenfolge der erwartbaren Häufigkeit. Hilfreich ist dabei ein Abgleich mit einer in jahrelanger Forschungsarbeit gewachsenen Datenbank in Montpellier mit allen bislang bekannten Usher-relevanten Genmutationen.

5000 Usher-Betroffene in Deutschland

Das Usher-Syndrom in allen klinischen Formen tritt weltweit mit einer Häufigkeit von etwa 1:25000 auf; Schätzungen gehen deutlich darüber hinaus. Da bislang nur die Daten aus Regionen mit einem hohen Erfassungsgrad vorliegen, wie sie beispielsweise aus dem Umfeld von Augen- oder HNO-Kliniken in den USA, Skandinavien oder Deutschland stammen, ist eine flächendeckende Hochrechnung schwierig. In einigen Siedlungsgebieten der Erde gibt es zudem Häufungen der gleichen Mutation, die aus einer Inzucht innerhalb geschlossener Populationen aus wenigen Ursprungsfamilien beruhen (sog. Gründermutationen), wie bei Quebecern, Aschkenasi-Juden oder Akadiern aus dem Süden Louisianas). Aber gerade solche archaischen Familienstammbäume haben die Genforschung durch ihre feststehenden Mutationen deutlich vorangebracht. In Deutschland geht man von insgesamt 5000 Usher-Betroffenen aus, von denen aber nur etwa 10% als solche klinisch erfasst sein dürften, was die Dringlichkeit einer zentralen Usher-Datenbank deutlich macht.

Große Streuung bei Schweregrad und Verlauf

Trotz der vergleichsweise übersichtlichen Zahl der identifizierten Usher-Gene gibt es eine weite Streuung der Schweregrade und des Verlaufes der Erkrankung, selbst unter betroffenen Geschwisterkindern. Verantwortlich für diese Variablilität ist zunächst das breite Mutationsspektrum innerhalb der Gene. Darüber hinaus beeinflussen aber selbst bei gleichen Mutationen noch weitere Faktoren, wie insbesondere genetische Modifikatoren (d.h. Gendefekte an anderen Orten) den Krankheitsverlauf gravierend, wobei es verschiedentlich zu Überschneidungen der klinischen Unterformen des Usher-Syndroms kommen kann. Bei bestimmten Mutationstreffern in Usher-Genen zeigt sich zuweilen sogar im Extremfall nur eine isolierte Gehörlosigkeit oder nur eine reine RP.

Argumente für Genanalyse

Welche Bedeutung können nun Genanalysen bei Usher-Betroffenen schon heute haben, auch wenn – wie bei anderen und häufigeren Netzhautdegenerationen – noch keine Therapie daraus abgeleitet werden kann? Auch für die Rechtfertigung des Kostenfaktors gegenüber den Krankenkassen lassen sich folgende Argumente anführen:

1. Die Kenntnis des Gendefektes besitzt ihren Wert an sich und schließt eine zufällige Kombination aus einer Hörbehinderung und einer RP aus.

2. Hinsichtlich einer Familienplanung ist es heute schon möglich, bei dem gesunden Partner eines Usher-Betroffenen festzustellen, ob er möglicherweise Überträger des gleichen defekten Usher-Gens ist. Dies ist zu bedenken, wenn der Partner aus einer Risikofamilie mit ebenfalls vom Usher-Syndrom Betroffenen stammt.

3. Immerhin 10% aller Kinder mit angeborener Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit werden später einmal eine Netzhautdegeneration entwickeln. Ein genetisches Screening im Kindesalter kann solche syndromalen Fälle sicher ausschließen oder im Detail bestimmen. Damit können auch jahrelang durchzuführende Verdachtsuntersuchungen des Augenhintergrundes vermieden werden. Im Ausschlussfall eröffnen sich den Kindern trotz Schwerhörigkeit oder Gehörlosikeit alle verbleibenden beruflichen Möglichkeiten mit voller Sehfähigkeit. Im anderen Falle können und müssen rechtzeitig die geeigneten Bildungswege und Sehhilfsmittel bereitgestellt und die Berufswahl weiter eingegrenzt werden.

4. Mit der Genanalyse können weitere syndromale Formen, beispielsweise mit begleitenden schweren Herz- oder Nierendefekten rechtzeitig festgestellt und behandelt werden.

5. Bei einer Reihe von Usher-Patienten liegt nur eine Punktmutation in Form eines irrtümlichen Stopp-Codons vor. Es wird an Verfahren gearbeitet, diese vorzeitigen Stopp-Codons zu überlesen und so die Exprimation eines vollständigen Proteins zu ermöglichen. Diese wären die ersten Kandidaten für eine Gentherapie. Eine noch anstehende Aufgabe ist die Aufklärung der Korrelation von Phänotyp (Schweregrad und Verlauf der Erkrankung) und dem Genotyp. Viele der nach und nach kartierten Usher-Mutationen sind neu und ihre klinischen Auswirkungen sind noch unbekannt. Ein 2010 an der Berliner Charité begonnenes Projekt widmet sich dieser Frage.

Quelle: Hanno-J. Bolz, Anne-Francoise Roux: Clinical Utility Gene Card for: Usher Syndrome, European Journal Of Human Genetics, Advance Online Publication (9. März 2011).

Nähere Informationen: www.bioscientia-humangenetik.de

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