Das erste Mal für einen alten Fuchs

Erfahrungsbericht zum Usher-Seminar aus Sicht eines Betroffenen

von Torsten Lucas

Obwohl ich schon seit über 15 Jahren in der Berliner Usher-Szene aktiv bin, habe ich zum ersten Mal ein Usher-Seminar besucht. Diesmal im tiefbayrischen Saulgrub.
In groben Zügen wusste ich vorab vom Hörensagen, wie es dort abläuft und was mich erwarten würde. Dass es mich so positiv und intensiv überwältigen würde, hätte ich nicht gedacht. Auffallend ist die große Herzlichkeit und Wärme, mit der sich die Teilnehmer untereinander begegnen. Es ist eine Begegnung auf Augenhöhe, lediglich die Lautstärke untereinander muss ab und zu angepasst werden.
Der Großteil der Teilnehmer kannte sich von vorherigen Usher-Seminaren oder durch den regionalen Zusammenhalt und selbst als Neuling wurde ich sofort in die fast familiäre Gemeinschaft aufgenommen. Interessant und spannend für mich waren die ersten Gespräche und Unterhaltungen nicht nur mit dem gegenseitigen „Abklopfen“ der Usher-Biographien, sondern auch im Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten.

Der erste Abend begann mit der obligatorischen Vorstellungsrunde, in der sich jeder der fast 70 Teilnehmer knapp vorstellte und es wurde der organisatorische Ablauf der nächsten Tage erläutert. Eine pfiffige Idee haben sich die Organisatoren des Usher-Seminars einfallen lassen, um Wortmeldungen während und nach den einzelnen Seminarbeiträgen zu koordinieren. Jeder Tisch hatte ein A4-großes Nummernschild, wie es auch bei Auktionen verwendet wird. Allerdings werden keine Gebote durch das Zeigen der Nummer abgegeben, sondern Fragen signalisiert. Das hat wirklich gut geklappt. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an die Organisatoren, die wieder einmal ein stimmiges und rundes Programm zusammengestellt haben.
Auf dem Usher-Seminar lernte ich wieder in regelmäßigen Zeitabständen Mahlzeiten einzunehmen, welche allerdings durch die interessanten und hochkarätig besetzten Vorträge unterbrochen wurden. Sind es doch die Referate, die eine breite Wissensbereicherung und Vermittlung aktueller Studienergebnisse darstellen und so das Seminar abwechslungsreich und informativ gestalten.
So wird ein psychologischer Vortrag für einige schnell zu einer psychotherapeutischen Sitzung, da man in diesem Moment das Vorgetragene selbst reflektiert und über sich selbst nachdenkt. Dieser vorgehaltene Spiegel macht uns allen sehr deutlich, welchen Belastungen und Anforderungen wir in unserem „funktionierenden“ Alltag ausgesetzt sind und konfrontiert werden. So bleiben spontane emotionale Gefühlsäußerungen nicht aus (was an dieser Stelle völlig normal ist) und das Schöne hierbei ist, dass sofort eine beruhigende Geste, ein aufmunterndes und tröstendes Wort oder gar ein Taschentuch von den anderen Betroffenen gegeben wird. In diesen Momenten ist man nicht allein!
Einige Beiträge werden den meisten noch in Erinnerung sein, allen voran der „Schock-Therapeut“ und „Schlappohr“ Jochen Müller, der mit seiner plakativen Ausdrucksweise über Verhaltensmuster und Bewältigungsstrategien hörgeschädigter Menschen aufklärte. Ein Seminartag stand im Zeichen von zwei Ausflügen.Einer führte uns in das benachbarte Oberammergau, wo wir den Passionsspielort mit Führung und Bühnenbegehung sowie eine kleine Stadtführung erlebten. Die Stadt Füssen war das Ziel des zweiten Ausfluges, ebenfalls mit einer Stadtbesichtigung und -führung.

Fester Bestandteil eines Usher-Seminars ist der „bunte Abend“ vor der Abreise – ein Überraschungspaket für fast alle Teilnehmer. In diesem Jahr stand es unter dem Motto „bayerischer Abend“ und wir lernten die ersten Schritte höfischer Tänze aus Zeiten König Ludwigs und Sissi kennen, die durch zwei Musiker und einem Tanzmeister (allesamt in feschem Outfit) bestritten wurden. Dem Tanzmeister gebührt unser aller Lob, da er in diesem Getümmel und Gewürm die nötige Contenance, Konzentration und vor allem den Überblick bewahrte, um das Ganze zu einem unvergesslichen Erlebnis für alle Beteiligten zu machen.
Mit Tanzmusik feierten wir anschließend bis in den nächsten Morgen hinein. Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich ein leichtes Lächeln auf meinem Gesicht und vor meinem geistigen Auge sehe ich viele lachende Gesichter, erlebe bestimmte Szenen erneut und spüre die Energie, die von diesen Begegnungen ausgeht. Wenn jeder von uns über die Fähigkeit verfügte, sich solche positiven Erlebnisse im Nachhinein abzurufen, dann braucht man keine Medizin, denn bei Risiken oder Nebenwirkungen fragt nicht euren Arzt oder Apotheker, sondern besucht das Usher-Seminar. Ich freue mich auf das nächste Treffen der großen Usher-Familie.


Erfahrungsbericht zum Usher-Seminar aus Sicht einer Angehörigen

von Christiane Schmidt (Lebensgefährtin von Sebastian Klaes)

Eine knappe Woche den Alltag hinter sich lassen, nach einem ganzen Jahr wieder zusammen zu kommen, sich nach einem straffen Programm fortzubilden und sich gleichzeitig zu erholen – das geht nur in Saulgrub. Von Anfang an war die Wiedersehensfreude bei allen Teilnehmern deutlich zu spüren. Als Neuling beim Usher-Seminar habe ich mich sofort alsTeil der Mannschaft gefühlt, so herzlich wurde ich begrüßt von Leuten, die ich bis dahin nur flüchtig oder noch gar nicht kannte.
Als nicht betroffene Angehörige schwankt man dennoch automatisch zwischen aktiver Anteilnahme und der Beobachtung von außerhalb. Denn obwohl man meint, die Auswirkungen des Usher-Syndroms im Alltag zur Genüge zu kennen und einschätzen zu können, ist es noch einmal etwas ganz anderes, so viele Betroffene mit ihren ganz unterschiedlichen Lebensläufen und Lebenseinstellungen zu treffen. Aus den vielen verschiedenen Vorträgen habe ich mindestens genauso viel gelernt wie aus den Unterhaltungen in den Pausen.

So interessant die Vorträge zu den medizinischen und technischen Entwicklungen auch waren – wesentlich spannender fand ich die Referate, die sich mit der Alltagsbewältigung beschäftigten. Das Leben im Hier und Jetzt nahm auch den größeren Raum ein, mehrere Referenten schlugen sogar den Bogen zum Namen des Vereins „Leben mit Usher-Syndrom e.V.“ Themen wie Stressabbau, Akzeptanz der eigenen Situation, Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit wurden von den Referenten gemeinsam mit den Teilnehmern sehr offen und lebhaft diskutiert. Als Angehörige hat man dabei auch sich selbst im Blick und bekommt so die Gelegenheit, nicht nur das Verhalten der Betroffenen, sondern auch das eigene zu hinterfragen. An diese Grundfrage knüpfte auch der Angehörigen-Workshop an.
Während der Vorträge und besonders während der Diskussionen fiel mir immer wieder die hohe Disziplin der Zuhörer auf. Trotz gelegentlicher technischer Schwierigkeiten haben die Teilnehmer untereinander sehr viel Rücksicht genommen und auch viele Vorschläge gemacht, wie man die Diskussionen noch besser organisieren könnte, damit auch alle folgen und sich beteiligen können. Es hat mich auch gefreut zu erleben, mit wie viel Humor und Ironie viele Betroffene von ihren Einschränkungen im Alltag berichtet haben.
Ich hatte den Eindruck, dass die Usher-Betroffenen, die ihren Sinn für Humor nicht verloren haben und sich im Leben vielseitig interessieren und engagieren, mit ihrer Situation am besten zurecht kommen.

Der Freizeittag, den wir in Oberammergau und in Füssen verbrachten, bildete ein sehr willkommenes Kontrastprogramm zu den straff organisierten Seminartagen. Die Gegend um Saulgrub bietet so viele Möglichkeiten, dass man das Ausflugsprogramm auch in 10 Jahren wohl noch nicht zu wiederholen braucht :-) Der Abschlussabend mit bayerischem Gesang und Tanz war ein absoluter Höhepunkt. Am Ende der zweistündigen Einweisung hatte jede tanzwillige „Sissi“ ihren ganz persönlichen „König Ludwig“ im Arm und ließ sich übers Parkett wirbeln.
Nach der Rückkehr in den ganz normalen Alltag habe ich eine Weile gebraucht, um mich innerlich auch wirklich vom Seminar zu verabschieden. Abgesehen von all den neuen spannenden Eindrücken, den Unterhaltungen und den Vorträgen habe ich besonders in den ersten Tagen nach dem Seminar das Gemeinschaftsgefühl vermisst. Ein großes, großes Dankeschön an alle Organisatoren und Mitgestalter des Seminars. Es ist eine riesige Bereicherung für Betroffene wie für Angehörige, und ich freue mich schon unheimlich auf das nächste Seminar, bei dem ich dabei sein darf!

Datum: 
Freitag, Oktober 18, 2013 - 06:30

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